Es ist an der Zeit offensiv für ein Protokoll zu werben, dass ich seit langer Zeit sehr reizvoll finde. Ich störe mich seit Jahren besonders an dem Platzhirschen in Deutschland: ICQ. Nicht nur, dass dieses Protokoll technisch minderwertig ist – es gibt auch sehr gute nicht-technische Gründe, die eigentlich dazu veranlassen sollten, diesen Anbieter nicht zu benutzen.

Meine Kritik fängt schon bei den Nutzungsbedingungen an, in denen der Benutzer ICQ z.B. sämtliche Nutzungsrechte am eigenen geistigen Eigentum abtritt oder die dem Benutzer untersagen andere ICQ-Programme als die durch ICQ autorisierten Programme zu verwenden. Der verbreite Einsatz vieler Multi-Protokoll Clients (wie etwa der von GAIM oder dem in meinem Bekanntenkreis erstaunlich weit verbreitetem Trillian) ist somit ein Verstoß gegen die Vertragsbedingungen. Warum einen Anbieter benutzen, der technisch nicht mehr bietet als andere, aber die eigene Freiheit unnötig einschränkt?

Ein weiterer zentraler Kritikpunkt ist die fehlende Interoperabilität. Ich weiß gar nicht mehr seit wann ich ICQ benutze. Ich glaube 1997 oder 1998 könnte das Jahr gewesen sein, an dem ich ICQ-Nutzer wurde. Seit dem war ich auf nicht-offizielle Clients angewiesen, da ICQ zu dieser Zeit nur Windows-Versionen ihrer Software anbot. Ich nutzte damals OS/2 und wäre ohne die Leistung interessierter Hacker als Benutzer eines Minderheiten-Betriebssystems ausgeschlossen geblieben. Seit dem konnte ich auch in unschöner Regelmäßigkeit feststellen, was passiert, wenn Anbieter auf proprietäre Protokolle setzen: sehr oft wenn auf eine neue Protokollversion gesetzt wurde, blieb ich für Tage, manchmal Wochen außen vor, bis jemand das neuste Protokoll gehacked hatte und Anwendungen angepasst werden konnte. Heute hat sich die Situation nicht grundlegenden geändert. Geändert hat sich nur, dass mittlerweile auch im deutschen Markt Konkurrenten Bedeutung haben, die ihrerseits auf proprietäre Lösungen setzen und den Versuch unternehmen, sich systematisch von der Konkurrenz abschotten. Was zunehmend öfter dazu führt, dass man, will man Kontakt zu deren Nutzern aufnehmen, sich mit der Frage beschäftigen muß, ob man schon wieder Kunde eines anderen Anbieters werden will.

Besonders augenfällig wird dies besonders dann, wenn man Bekannte in anderen Ländern hat, in denen andere Dienste eine ähnliche Bedeutung haben wie hierzulande ICQ. Etwa in Polen wo Gadu-Gadu den Markt dominiert, in Asien wo QQ die Nummer 1 ist oder in weiten Teilen des ehemaligen Jugoslawien in denen der Microsoft Messenger dominiert. Und vielleicht kennt man dann auch noch Menschen aus der Heerschar der AOL-Benutzer (amerikanische Bekannte anyone?), die natürlich AIM benutzen. Wer es mit einer so heterogenen Gruppe zu tun hat, dem bleibt nur die Möglichkeit sich eine Vielzahl von Chat-Programmen zu installieren und parallel zu betreiben – oder aber auf einen der vielen Multi-Protokoll-Clients umzusteigen, deren Einsatz die Nutzungsbedingungen mancher Anbieter aber eigentlich verbieten…

Aufgrund dieser rechtlichen Probleme und der notorischen Unzuverlässigkeit solcher „Lösungen“ ist der dauerhafte Einsatz von Multi-Protokoll-Clients keine Lösung für das Interoperatibilitätsproblem. Die saubere Lösung wäre ein offenes und freies Protokoll, für das es eine Vielzahl von Anwendungen und Anbieter gibt. Dieses Protokoll liegt mit Jabber, das vor rund zwei Jahren von der Internet Engineering Task Force (IETF) im Wesentlichen unter dem Namen XMPP, dem Extensible Messaging and Presence Protocol, standardisiert wurde, vor.

XMPP ist ein in vielerlei Hinsicht sehr ausgereiftes Protokoll, dass sich insbesondere im kommerziellen Umfeld zunehmender Beliebtheit erfreut. Während es im Consumer-Bereich bislang nur eine kleine Anzahl technik- und/oder open-source-affiner Menschen zu begeistern vermochte, hat es seinen heimlichen Siegeszug längst bekommen. So sollen zahlreiche Wallstreet-Banken auf XMPP setzen, verschiedene Stellen der US-Regierung, FedEx, sowie verschiedenen IT-Branchengrößen wie z.B. HP, Oracle, Sun und IBM.
Es gibt mittlerweile eine Vielzahl von Open- und Closed Source-XMPP-Servern, die von einer stetig wachsenden Zahl von Firmen angeboten werden. Auch dies deutet auf die wachsende kommerzielle Bedeutung dieses Protokolles hin.

Mittlerweile allerdings regen sich auch die Anbieter im Consumer-Bereich. Mit GoogleTalk etwa setzt ein ganz großer der Branche auf Instant Messaging und Voice Over IP via XMPP. Auch United Internet will mit seinen beiden Freemail-Anbietern web.de und GMX zukünftig XMPP-Messenger-Dienste anbieten. Spätestens nach dem Ende der Beta-Test-Phase dürfte also zu erwarten sein, dass die Nutzung von Jabber für viele Benutzer attraktiv werden dürfte. Anlaß genug für mich einmal mehr die Werbetrommel zu rühren und ein paar der Vorzüge von Jabber, abseits der grundsätzlichen Fragen oben, aufzuzeigen.

Fortsetzung folgt.